Prioritäten – weshalb Schreddern eine A-Aufgabe sein kann

Bild: Monsterkoi via Pixabay

Zusammenfassung: Prioritäten ändern sich schnell. Deshalb ist es nicht sinnvoll, sie starr zu kategorisieren. Effizienter ist es zu entscheiden, was aktuell Priorität hat, und zwar nach Kontext, verfügbarer Zeit und Ressourcen. Voraussetzung dafür ist ein vollständiger Überblick über alle Aufgaben.

Vor erschreckend vielen Jahren, als ich mich als Übersetzerin selbstständig machte, besuchte ich ein Zeitmanagement-Seminar. Damals hatte ich Sorge, nach der Festanstellung mit vorgegebenen Arbeitszeiten könnte ich sonst in meinem Homeoffice der völligen Disziplinlosigkeit anheimfallen.

In dem Workshop hatten die Teilnehmenden unter anderem zwei Aufgaben zu lösen. Eine Liste vorgegebener Aufgaben nach dem Eisenhower-Prinzip in die Prioritäten A, B, C, D einteilen und eine Liste von Terminen und To-dos für den Tag in einer fiktiven morgendlichen Tagesplanung so in den Tag einsortieren, dass alle wahrgenommen, bzw. abgearbeitet werden können.

Mit Begeisterung stürzte ich mich in die zweite Aufgabe, denn kleine Rätsel zu lösen, macht mir Spaß, und es gab für dieses Problem nur eine mögliche Lösung. Da freut sich der Verstand, wenn er mit Logik mal wirklich weiter kommt! Tatsächlich hatte ich die „richtige“ Lösung auch relativ schnell herausgefunden.

Doch schon während des Workshops meldeten sich bei mir leise Zweifel, ob das in meinem Berufsalltag so funktionieren kann? Es waren ja fiktive Aufgaben und Termine, mit denen wir uns beschäftigt hatten. Natürlich ging dabei immer alles auf.

Tatsächlich ordnete ich in den ersten Wochen nach dem Kurs morgens hoch motiviert alles in die Prioritäten A, B, C, D (und freute mich über jedes D, denn das steht für „delete“). Doch im Laufe des Tages kamen E-Mails mit neuen Aufträgen, Anrufe mit wichtigen Informationen und kleine Alltagskatastrophen dazu (wieso steht unser Bad unter Wasser?). Das führte dazu, dass ich meine Prioritätenliste mehrmals täglich neu hätte schreiben müssen und das erschien mir dann doch nicht sehr effizient. Prioritäten sind ein bewegliches Ziel. Man kriegt sie nicht immer so leicht zu fassen. Kaum hat man sie sortiert, ändern sie sich schon wieder.

Auch machte ich am Anfang den Fehler, alle A-Aufgaben hintereinander in meinen Plan zu setzen (Wichtig! Dringend!), um sie zuerst vom Tisch zu haben. Doch berücksichtigte ich dabei nicht, dass es Aufgaben gibt, die mehr geistige Ressourcen brauchen als andere. Nach der Mittagspause, während das Suppenkoma voll zuschlägt, ein komplexes Angebot zu kalkulieren, dauert mindestens doppelt so lang, wie es morgens dauern würde, wenn ich noch frisch bin.

Deshalb finde ich es wunderbar, auch minderkomplexe Aufgaben auf meiner To-do-Liste zu haben. Nach der Mittagspause möchte ich bitte etwas Stupides tun dürfen! Und das mit gutem Gewissen, denn wenn es auf meiner Liste stand, dann liege ich ja voll im Plan, wenn ich es erledige. Alte Akten schreddern zum Beispiel. Das ist eine wichtige Aufgabe – schließlich nehme ich Datenschutz ernst.

In einem späteren Seminar lernte ich bei der hervorragenden Trainerin und Autorin Leslie Boyer die Methode „Getting things done“ von David Allen kennen und war begeistert von der simplen Logik, nach der dabei die nächste Aufgabe aus der To-do-Liste ausgewählt wird. 

Drei einfache Kriterien helfen, eine schnelle Entscheidung über die Priorität zu treffen:

  • An erster Stelle steht dabei der Kontext. Was kann ich da erledigen, wo ich gerade bin, mit den Hilfsmitteln, die mir gerade zur Verfügung stehen?
  • Dann die Zeit – wie viel Zeit habe ich gerade zur Verfügung?
  • Und schließlich die Frage nach den Ressourcen, also danach, wie viel Energie ich gerade habe.

Diese drei schnellen Entscheidungen machen die A-, B- und C-Kategorien überflüssig und bringen Entlastung. Man wählt die Aufgaben morgens bei der Planung des Tages aus oder ad hoc, sobald sich ein freies Zeitfenster auftut. So ergeben sich die Prioritäten natürlich und intuitiv, ohne Zeitaufwand fürs Kategorisieren. Voraussetzung für dieses Vorgehen ist, dass ich stets einen vollständigen Überblick über alle Projekte und Aufgaben in Form von aktuellen Projekt- und To-do-Listen habe.

Endlich hatte ich es damit von kompetenter Seite abgesegnet: Manchmal ist es die Aufgabe mit der höchsten Priorität, alte Unterlagen zu schreddern, wenn das alles ist, wozu ich gerade geistig in der Lage bin. Und ich darf ganz zufrieden mit mir sein, wenn ich das von meiner To-do-Liste streichen kann.

Fragen für dich:

  • Wie verteilst du deine Aufgaben über den Tag? Ist es dir möglich, dabei auf deinen Biorhythmus zu achten?
  • Was hilft dir bei der Auswahl der „richtigen“ Aufgabe für diesen Moment?
  • Ist deine To-do-Liste vollständig?
  • Wie gelingt es dir, alle Projekte und Aufgaben im Blick zu behalten, um zu entscheiden, was Priorität hat?

Du kannst diese Fragen für dich selbst zum Reflektieren nutzen, wir freuen uns aber auch, wenn du deine Erfahrungen in den Kommentaren teilst!

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Autorin des heutigen Effizienztipps:

Ulrike Heiß ist Expertin für Selbstorganisation, gibt Tipps zur Selbststeuerung und dazu wie man Kontrolle über Projekte und Aufgaben gewinnt. Sie teilt Wissen zum effizienten Umgang mit E-Mails, zeigt, wie der Schreibtisch leer wird, und bringt ab und an ein bisschen „Nerdkram“ ein. Ihr Seminar Zeit fürs Wesentliche findest du hier

In einem „früheren Leben“ war sie Übersetzerin medizinischer Fachtexte.

Ulrike Heiß

Weiterführende Infos

  1. Leslie hat auch ein paar gute, frei zugängliche Artikel in der Huffington Post veröffentlicht. Diesen hier finde ich ziemlich inspirierend (Englisch): https://www.huffpost.com/entry/the-misfortune-of-being-a_b_10870240
  2. Für die oben erwähnten minderkomplexen Aufgaben habe ich sogar eine spezielle Kategorie auf meiner Aufgabenliste (sie heißt „braindead“ ;-)). Wenn ich so platt bin, dass ich nur noch Aufgaben erledigen kann, bei denen ich nicht viel nachdenken muss, ist das Nachdenken darüber, auf welche Aufgaben das zutrifft, bereits zu kompliziert. Deshalb sammele ich stupide Tätigkeiten in dieser separaten Kategorie und suche mir dann in weniger lichten Momenten eine Aufgabe daraus aus. Das hat sich sehr bewährt.
Thomas Wunderberg

Thomas Wunderberg

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